Newtown-Massaker: Games wieder attackiert

 

Mehr Waffen, weniger Games: Wayne LaPierre, NRA-ChefNach dem Massaker in Connecticut, welches fast dreissig teils sehr junge Menschen das Leben kostete, rückte die Diskussion um das "Warum" einer solchen Tat erneut in das mediale Zentrum. Die Zeitungen, News-Websites, Blogs, TV- und Radiosendungen dieser Welt verlangen zu wissen, was einen jungen Menschen zu einem dermassen brutalen und zerstörerischen Ausbruch der Gewalt treibt. Viele Faktoren werden als mögliche Gründe genannt: Sozial schwieriges Verhalten, gesellschaftliche Isolation, zu einfacher Zugriff auf Schusswaffen - und jüngst, wie in den "Amokläufen" zuvor, auch Videospiele. Während aus Ecken, von denen es zu erwarten war, verzweifelte Schuldzuweisungen ertönen, scheinen die Nachrichten aber vermehrt realistischer mit dem Thema umzugehen.

US-Präsident Barack Obama wies eine Taskforce an, strengere Waffengesetze zu prüfen, und lockte so endgültig die amerikanische Waffenlobby auf den Plan. So fühlte sich die National Rifle Association (NRA), die traditionell republikanisch und konservativ eingestellte, landesweit aktive Vereinigung der Schusswaffenliebhaber, in die Enge getrieben und griff Videogames als altbekannten Sündenbock an. Wayne LaPierre, Executive Vice President der Organisation, lästerte über Massenmedien im Generellen:

[...]there exists in this country a callous, corrupt and corrupting shadow industry that sells, and sows, violence against its own people. [...] blood-soaked slasher films like American Psycho and Natural Born Killers are aired like propaganda loops on ‘Splatterdays’ and every day [along with] a thousand music videos that portray life as a joke and murder as a way of life."

([...]In diesem Land existiert eine herzlose, korrupte und korrumpierende Schattenindustrie, welche Gewalt gegen ihr eigenes Volk verkauft und sät. [...] Blutrünstige Slasher-Filme wie "American Psycho" und "Natural Born Killers" werden wie Endlosschleifen der Propaganda an "Splatterdays" und täglich, zusammen mit tausenden Musikvideos, welche das Leben als einen Witz und Mord als Lebensgefühl darstellen, ausgestrahlt.)
Wayne LaPierre, Executive Vice President, NRA - zitiert in IGN: "NRA Blames Violent Entertainment for Shootings, ECA Responds". 21. Dezember 2012.

In diesem Rundumschuss gegen die Medien fehlten letztendlich auch Angriffe gegen Videospiele nicht:

[...] vicious, violent video games with names like Bulletstorm, Grand Theft Auto, Mortal Kombat and Splatterhouse - And then they have the nerve to call it ‘entertainment, but is that what it really is? Isn't fantasizing about killing people as a way to get your kicks really the filthiest form of pornography? In a race to the bottom, media conglomerates compete with one another to shock, violate and offend every standard of civilized society [...] — every minute of every day of every month of every year.

([...] grausame, brutale Videospiele mit Namen wie "Bulletstorm" (Kugelhagel), "Grand Theft Auto" (schwerer Autodiebstahl), "Mortal Kombat" (tödlicher Kampf) und "Splatterhouse" - und dann haben sie den Nerv, das "Unterhaltung" zu nennen, doch ist es das wirklich? Ist es nicht die schmutzigste Art der Pornographie, sich einen Kick daraus zu verschaffen, über das Töten von Menschen zu fantasieren? In einem Rennen in den Abgrund wetteifern Medienkonzerne miteinander um zu schockieren, Grenzen zu überschreiten und jeden Standard der zivilisierten Gesellschaft zu verletzen [...] - jede Minute, jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr.)
Wayne LaPierre, Executive Vice President, NRA - zitiert in IGN: "NRA Blames Violent Entertainment for Shootings, ECA Responds". 21. Dezember 2012.

Um zu beweisen, wie genau er sich mit dem Thema auseinandergesetzt hat, nannte er dann auch noch ein zehn Jahre altes, kaum bekanntes Flash-Game namens "Kindergarten Killer".

Doch die Medien fallen scheinbar nicht mehr so schnell über Videospiele her. Die Washington Post veröffentlichte vor Kurzem eine selbst angefertigte Untersuchung, welche zehn Länder anhand ihrer jährlichen Waffenopfer sowie ihren Videogame-Verkaufszahlen verglich. Das Resultat ist zwar kaum wissenschaftlich signifikant, zeigt jedoch trotzdem einen interessanten Trend: Obwohl LaPierre meinte, dass die Zahl von Gewalttaten rasant und parallel mit den Verkäufen und der Intensivierung von gewalthaltigen Bildern wächst, vermag die erstellte Grafik keine Verbindung zwischen den beiden Prüfwerten zu finden. Die Washington Post titelte dann auch: "Ten-country comparison suggests there’s little or no link between video games and gun murders" (Vergleich zwischen zehn Ländern zeigt, dass eine Verbindung zwischen Videospielen und Waffenmorden kaum oder gar nicht existiert).

Keine Trendlinie: Grafischer Vergleich zwischen zehn Ländern

"So, what have we learned? That video game consumption, based on international data, does not seem to correlate at all with an increase in gun violence. That countries where video games are popular also tend to be some of the world’s safest (probably because these countries are stable and developed, not because they have video games)."

(Was haben wir also gelernt? Aufgrund internationaler Zahlen korreliert Videospielkonsum nicht mit dem Anstieg von Waffengewalt. Ausserdem gehören Länder, in denen Videospiele beliebt sind, tendenziell zu den Sichersten der Welt (vermutlich, weil diese Länder stabil und entwickelt sind, nicht weil sie Videospiele haben).)
Washington Post: "Ten-country comparison suggests there's little or no link between videco games and gun murders". 17.12.2012

Der

Und auch auf Portalen wie YouTube wird das Thema aufgegriffen. So veröffentlichte "TotalHailbut" in der Reihe "Cynical Brit" eine viertelstündige Abhandlung des Themas. Eindrücklich wird in diesem Video dargestellt, wie ein Experte den Medien rät, im Falle solcher Taten keine Polizeisirenen oder sonstigen dramatischen Bilder, keine Fotos der Täter, keine Opferzahlen oder Ähnliches über die ganze Welt hinweg zu streuen, da dies lediglich Nachahmungstäter auf den Plan rufen würde - und nach jedem Satz wird ein Medienbericht gezeigt, der einen dieser Ratschläge missachtet. Das Video moniert auch Boulevardmedien, welche in grossen Lettern betonen, dass der Täter gerne "Black Ops II" gespielt hat, während genau dieselben Zeitungen und Newsportale wohlwollende Kritiken über ebendieses Spiel veröffentlichen und den dargestellten Realismus loben.

Fakt ist, dass Videospiele scheinbar nicht mehr sofort und über alle Zeitungen und News-Sites hinweg als ultimative Quelle des Bösen angesehen werden. Dies mag ein Zeichen einer positiven Entwicklung hinsichtlich Umgang mit Videospielen und deren Inhalten sein: Offenbar ist es nicht mehr interessant, Videogames zu stigmatisieren. Es zeigt auch, wie wichtig weiterhin die Förderung der Medienkompetenz in der Öffentlichkeit ist.

Über die tatsächlichen Gründe für die brutale Tat wird weiterhin geforscht; auch eine soziale Störung des Täters wird als möglicher Mitauslöser angesehen. Mütter anderer Kinder, welche unter solchen Störungen leiden, solidarisieren sich in Blogposts mit der Mutter des Täters. Der einfache Zugriff auf Waffen, von welchen die ebenfalls durch ihren Sohn getötete Mutter übrigens mehrere besass, ist spätestens jetzt nationaler Brennpunkt in den USA geworden. Schliesslich gibt auch die Washington Post zu bedenken:

And we also have learned, once again, that America’s rate of firearm-related homicides is extremely high for the developed world.

(Und wir haben - wieder einmal - auch gelernt, dass die Rate von schusswaffenbezogenen Morden in den USA für ein entwickeltes Lande extrem hoch ist.)
Washington Post: "Ten-country comparison suggests there's little or no link between videco games and gun murders". 17.12.2012

Unsere Bannerpartner: