Nationalräte fordern Bundesbericht zur Schweizer Games-Industrie – Tauwetter in Bern?

  • Adrian
  • 15. März 2015
  • Politik
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Es ist in aller Munde: Nationalrätin Jaqueline Fehr hat am vergangenem 12. März ein Postulat eingereicht, welches den Bundesrat auffordert einen Bericht zur Lage der Computer- und Videospielindustrie in der Schweiz zu verfassen. Unter den Mitunterzeichnern finden sich nicht nur SP-Parteikollegen von Fehr sondern auch prominente Namen von den Grünen, GLP, FDP, CVP und SVP. Jetzt stellt sich nur die Frage: Ist dies ein nachhaltiger Wechsel in der Haltung von Bundesbern oder nur Profilierung in einem Wahlkampfjahr?

Watson berichtet, 20 Minuten berichtet, das SRF berichtet. Nach den jüngsten Erfolgen von Schweizer Games auf dem internationalen Parkett der Games Developers Conference in San Francisco hat sich eine farbenfrohe Gruppe von Nationalräten dazu entschlossen, das Postulat «Bericht über das Potenzial der Schweizer Game-Industrie für Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft» einzureichen. Nebst Jaqueline Fehr (SP) sind auch Blathasar Glättli (Grüne), Lukas Reimann (SVP) und Ruedi Noser (FDP), allesamt Aushängeschilder ihrer Parteien, als Mitunterzeichner mit dabei und mit zahlreichen Nationalräten aus der Romandie und dem Tessin ist die Unterstützung auch ausserhalb der Deutschschweiz gross.

Hat das Postulat eingereicht: Nationalrätin Fehr

Der Vorstoss beauftragt den Bundesrat, in einem Bericht zur Schweizer Game-Industrie das künstlerische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Potenzial zu untersuchen. Explizit soll auch darauf eingegangen werden, wo und wie die Politik die Entwicklung der zukunftsträchtigen Branche beeinflussen soll. Insbesondere soll dieses Potenzial auch mit anderen Ländern verglichen werden, hauptsächlich mit den skandinavischen Ländern. Dies ist nicht allzu überraschend, wenn man bedenkt welche Riesen der Industrie in den letzten Jahren dort entstanden sind. Das Postulat erkennt auch, dass es in der Schweiz bereits anerkanntes Talent gibt -dieses gelte es aber nun zu unterstützen und zu fördern.

Dies ist ein Meilenstein für die hiesige Gaming-Szene und als GamerIn kann man nicht anders als sich darüber zu freuen. Und das ist auch gut so. Es ist das erste Mal, dass Computer- und Videospiele vom Parlament nicht als lästige Gefahr gesehen werden, als schlechter Einfluss der die Jugendlichen verdirbt und Gewalt anregt. Mit diesem Postulat wird ein Zeichen gesetzt: Spiele sind in der Schweizer Gesellschaft angekommen um zu bleiben und sie sollen ein festes Standbein der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur werden. Auch offiziell. Mit der Anerkennung unseres Hobbys als wirtschaftlicher Faktor für die Zukunft wird aus einem Thema, mit dem sich die ganze Gesellschaft nur dann befasst, wenn in Deutschland ein psychisch labiler Jugendlicher ein tragisches Massaker verübt, etwas Alltagsfähiges das jeden betrifft und für alle etwas Positives mit sich bringt – ob man nun selber spielt oder nicht. Und davon profitieren letzten Endes nicht nur die Spieleentwickler, sondern auch wir Gamer.


« […] es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, und da dürfen wir uns nicht aus der Verantwortung stehlen, Rahmenbedingungen zum Schutz derjenigen jungen Menschen zu schaffen, die von ihrer Persönlichkeitsstruktur her nicht so stark sind, dass sie sich ohne Weiteres gegen negative - vor allem auch negative emotionale - Beeinflussung wehren und schützen können […] »
- Ständerat Ivo Bischofberger (CVP), 18. März 2010


Diese neue Haltung in Bundesbern steht im krassen Kontrast zum Votum von Ständerat Ivo Bischofberger. Games sind nicht mehr nur ein Aspekt der Jugendpolitik, den es zum Schutze dieser zu kontrollieren gilt. Das Postulat von Nationalrätin Fehr ist nur der neuste Schritt in die richtige Richtung auf dem Weg zur völligen Akzeptanz von Games in der Gesellschaft. Aber der Weg bis dahin ist noch lang.

Doch nicht alles so rosig auf den zweiten Blick?

Inzwischen sollte jedem, der sich die paar Artikel und das Postulat überflogen hat, aufgefallen sein, dass sich die Politiker nicht zum Inhalt der Spiele geäussert haben. Und dass zur Zeit Wahlkampf bestritten wird. Und dass sich das Parlament bisher mit dem Thema Games immer nur sehr schwer getan hat. Erst gerade letztes Jahr reichte Nationalrat Jean-Pierre Grin eine Interpellation ein, in der er den Bundesrat fragte, ob dieser nicht der Meinung sei, dass sich ein Verbot von gewalthaltigen Games aufdränge. Auch unter den Unterzeichnern des Postulats gibt es Nationalräte mit ähnlichen Ansichten - allen voran Nationalrätin Fehr. Diese war 2009 eine der Mitunterzeichnerinnen der Motion Allemann, welche das Totalverbot von Gewalt in Games verlangt. Unter den Mitunterzeichnern des Postulats finden sich mit Nationalrätinnen Marina Carobbio Guscetti und Edith Graf-Litscher sowie Nationalrat Andy Tschümperlin gleich drei weitere Unterzeichner der Motion Allemann.

Gegen Verbote: Reimann & WermuthDamit aber noch nicht genug: Von den zwanzig Mitunterzeichnern haben wie bereits dargelegt drei die Motion Allemann mitunterzeichnet. Weitere sechs waren zu der Zeit bereits Nationalräte, die restlichen elf sind erst später ins Amt gewählt worden. Von diesen neun Nationalräten haben Nationalrätinnen Ada Marra und Kathy Riklin sowie Nationalräte Eric Voruz und Thomas Weibel zusammen mit den unterzeichnenden Nationalrätinnen Carobbio Guscetti, Fehr und Graf-Litscher sowie Nationalrat Tschümperlin am 3. Juni 2009 bei der Nationalratsabstimmung zur Motion Allemann mit Ja gestimmt. Nur Nationalrat Lukas Reimann stimmte gegen das Totalverbot von Nationalrätin Evi Allemann während Nationalrat Ruedi Noser an dieser Abstimmung nicht teilnahm. Somit haben sieben der neun Mitunterzeichner des Postulats von Nationalrätin Fehr ein Totalverbot von Gewalt in Games unterstützt. Genauso wie die Nationalrätin, welche das Postulat eingereicht hat.

Und es geht noch weiter: Der mitunterzeichnende Nationalrat Corrado Pardini, welcher zu oben erwähnten Abstimmung noch nicht im Nationalrat sass, war zwischen 2002 und 2011 im Grossen Rat des Kantons Bern und dort unterstütze er am 8. April 2008 die eingereichte Motion eine Standesinitiative mit dem Titel «Verbot von Killerspielen». Motionär damals war kein Geringerer als Roland Näf.

Nationalrätin Marra und Nationalrat Voruz waren auch Mitunterzeichner der Motion des damaligen Nationalrats Josef Zisyadis, «Verbot von Kriegsspielzeug», welche Videospiele ebenfalls prominent auf eine Verbotsliste setzte. Diese Motion wurde zum Glück vom Nationalrat abgelehnt. Aber auch hier findet sich unter den Mitunterzeichnern der Motion eine Vielzahl von Ja-Stimmen: Amarelle, Carobbio Guscetti, Graf-Litscher, Hardegger, Maire, Marra, Naef, Pardini, Schneider Schüttel, Tornare sowie Tschümperlin stimmten am 3. Dezember 2012 mit ja. Nein stimmten hierzu nur die Nationalräte Glättli, Noser, Reimann, Weibel und Wermuth sowie Nationalrätin Riklin während Nationalrat Voruz abwesend war, Nationalrätin Fehr sich der Stimme enthielt. Nationalrätin Trede sass damals noch nicht im Parlament. Unter dem Strich haben sich von all den Unterzeichner des Postulats nur zwei prominent gegen ein Verbot von gewaltbeinhaltenden Games ausgesprochen: Cédric Wermuth und Lukas Reimann. Bei Reimann muss man aber auch anmerken, dass er nicht viel von Games für Erwachsene hält, aber dennoch strikt gegen ein Verbot ist.

Diese Fakten wirken ernüchternd und dämpfen die Euphorie. Und sie werfen viele Fragen auf. Haben Games das Wohlwollen der Parlamentarier nur, solange sie «Landwirtschafts-Simulator» heissen oder für Tablets erscheinen? Haben sie nur aus rein wirtschaftlichen Aspekten Interesse an Games? Und wird diese Haltung wieder umschwenken sobald ein Schweizer Spielentwickler einen Shooter, ein Beat-'em-up oder ein Horror-Spiel veröffentlicht? Trotz allem ist die momentane Entwicklung der Thematik positiv. Nicht nur verlangen Nationalräte die Förderung der Industrie, auch der Bericht «Jugend und Medien» wird demnächst veröffentlicht. Währenddessen wurden Verbotsmotionen abgelehnt und Standesinitiativen sistiert. Viel hat sich getan seit den Tagen des Näf’schen Regimes.

Trotzdem, gerade jetzt müssen wir die Politiker in die Pflicht nehmen und von ihnen fordern, dass sie offen anerkennen, dass Games als Kunstwerke und Kulturgut das Recht haben, auch erwachsene Themen zu verarbeiten. Sie müssen sich klar für Computer- und Videospiele, deren Entwickler und Konsumenten als Ganzes und ohne Ausnahmen aussprechen – vom Bauernhofspiel bis hin zur helvetischen Zombieapokalypse. Alles andere sind halbe Sachen und werden unserem Hobby nicht gerecht. Um das zu bewirken sind wir Gamer gefragt. Wir müssen den Druck aufrechterhalten, Stellung nehmen und klar unser Hobby, unsere Werte und unsere Ziele verteidigen und durchsetzen. Nicht nur im Parlament, sondern auch im Alltag, denn nur so erreichen wir, dass Games in der ganzen Gesellschaft anerkannt werden und dass die Politik diese konstruktive Linie beibehält, auch wenn mal keine Preise für Schweizer Games sondern Kritik an ihren Inhalten auf dem Tagesplan stehen.

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