„Die Anno-Farce“ (GameStar), „Kuschel-Preis für Computerspiele“ (Heute.de), „Eine Räuberpistole“ (Welt Online) und „Deutschland feiert Kinderspiele“ (Spiegel). Die Aufregung um den Deutschen Computerspielpreis 2010 ist ebenso gross wie berechtigt – und das nicht nur bei Insidern.
Dabei hatte es so gut angefangen: Als 2008 der erste Deutsche Computerspielpreis verliehen wurde, konnte das gut und gerne als ein wichtiger Schritt in Richtung gesellschaftlicher und vor allem auch politischer Akzeptanz gewertet werden. Doch nun scheint der Preis zu einer Farce geworden zu sein, nicht zuletzt auch durch kräftiges Zutun der Politik. Um zu verstehen wie das passieren konnte, müssen die Hintergründe der Verleihung dieses Preises betrachtet werden.
Das Hauptproblem des Deutschen Computerspielpreises ist der Interessenskonflikt der unweigerlich stattfindet, wenn diese Menge an Gruppierungen daran beteiligt ist: Der Kulturstaatsminister, die Branchenverbände der Spielindustrie und schliesslich die Spielindustrie selbst. Die Jury für den Preis besteht aus 36 Personen, in neun Fachgruppen unterteilt. Ihnen übergestellt ist eine weitere Jury, die die schlussendliche Entscheidung trifft. Darin versteckt sich auch schon ein grosses Problem: Zwar sind die jeweiligen Fachausschüsse von verschiedenen Spielekennern, wie zum Beispiel dem GameStar Redakteur Heiko Klinge, besetzt, die ihnen übergestellte Jury ist jedoch zum grossen Teil aus politischen Kreisen besetzt. Der Vorsitzende dieser Jury ist Wolf-Dieter Ring, Präsident der Landeszentrale für Neue Medien und Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz. Da sollten bereits die ersten Alarmglocken läuten, denn natürlich möchte man als Politiker in so einer Position nicht mit Spielen mit „ungeeignetem“ Inhalt in Verbindung gebracht werden. Ähnlich ging es wohl dem bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer – der lud zwar 2009 zum Deutschen Computerspielpreis, erschien dann aber nicht.
Für den Deutschen Computerspielpreis 2010 in der Kategorie „Bestes Internationals Spiel“ waren unter anderen „Uncharted 2“ und „Dragon Age: Origins“ nominiert. Beides Favoriten der Fachjury, beides unbestritten herausragende Games. Das Problem: In „Uncharted 2“ fallen Schüsse und in „Dragon Ages: Origins“ spritzt Blut. Keines der beiden Games wurde nominiert. Tatsächlich sind von den 24 Nominierungen gerade mal zwei Games für Erwachsene geeignet.
"Das ist, als würde man bei den Oscars nur jugendfreie Filme prämieren. Wären Hitchcock, Kubrick, Frankenheimer oder Scorcese zeitgenössische Spiele-Designer, würden ihre Werke in Deutschland nicht ausgezeichnet werden."
Jörg Langer, renommierter Fachjournalist und Gamers Global-Chefredakteur; www.gamersglobal.de
In der Kategorie „Bestes Internationales Spiel“ konnte man sich auf kein Spiel einigen und so wurde konsequent beschlossen, diesen Preis nicht zu verleihen. Jetzt kamen jedoch die Lobbyisten der Industrie ins Spiel. Von diesen wird die Kategorie als ein Instrument gesehen, Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. Die Drohung: Wird in der Kategorie „Bestes internationales Spiel“ kein Preis vergeben, wird die Industrie ihren Anteil an der Finanzierung zurückziehen. Das wäre das Ende des Preises gewesen.
Also wurde nachträglich ein Spiel nominiert und damit stand der Gewinner bereits fest: Anno 1404. Ein gutes Spiel, das zwar nicht mit einem „Uncharted 2“ oder „Dragon Age: Origins“ verglichen werden kann, jedoch ab 6 Jahren freigegeben ist. Die Begründung dafür liefert der deutsche Kulturminister Bernd Neumann auch gleich in seiner Eröffnungsrede: Ausschliesslich „pädagogisch wertvolle“ und „kulturell anspruchsvolle“ Spiele sollen prämiert werden. Dabei ignoriert er grosszügig, dass dieselben kulturellen und politischen Institutionen beim Deutschen Filmpreis sich erst vor Kurzen ohne Probleme auf „Inglourious Basterds“ von Quentin Tarantino einigen konnten. Was Kulturminister Neumann hiermit mitteilen will ist demnach wohl, dass das Zeigen von Menschen, die skalpiert werden, eine Familie mit Kindern, die getötet wird, und ein Kopf, der gut sichtbar mit Knüppeln zertrümmert wird, pädagogisch wertvoll ist. Interessant ist übrigens auch dass „Anno 1404“ vom deutschen Entwickler Related Designs stammt und somit gar nicht für die Kategorie „Bestes internationales Spiel“ qualifiziert gewesen wäre.
Um die Zukunft des Deutschen Computerspielpreises sieht es also alles andere als rosig aus - da Spiele für ein erwachsenes Publikum hiermit nun faktisch als „nicht zugelassen“ gewertet werden können, büsst der Preis seine restliche Glaubhaftigkeit ein, wie Thomas Lindemann von Welt Online in folgendem Zitat feststellt:
„Zur Hälfte wird dieser Preis von einer Branche gestiftet, die nichts von ihm hat, weil ihre Haupterzeugnisse nicht vorkommen dürfen. Zur anderen Hälfte von der Politik, die Videospiele als Medium für Erwachsene nicht akzeptiert. Löst die Jury diesen Widerspruch nicht, ist der Preis bald tot.“
Welt Online; http://www.welt.de/