«Killerspiel»-Debatte 2.0 – oder doch nicht?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat mit seinem Kommentar letzten Samstag die Diskussion rund um Gewalt in Computer- und Videospielen in eine neue Runde gebracht. Oder zumindest schien dem so auf den ersten Blick, denn die Reaktionen lassen durchaus auch andere Schlüsse ziehen.

Tweets von Böhmermann
Tweets von Böhmermann
(Quelle: twitter.com)

Bereits letzten Sonntag berichteten wir von den Aussagen des deutschen Bundesinnenministers. Er behauptete an der Pressekonferenz des deutschen Bundesministeriums des Innern zum Amoklauf in München am 22. Juli 2016, dass man nicht daran zweifeln könne, dass Gewalt in Games einen schädlichen Einfluss hätte und wer das bezweifle, sei nicht vernünftig. Reaktionen darauf liessen nicht lange auf sich warten. Die Medien griffen die Aussage auf, Kolumnisten äusserten ihre Meinung zum Thema und zur Aussage, ebenso prominente Medienleute wie Jan Böhmermann oder Politiker teilten sich mit. Der Hashtag «Killerspiele» wurde über Nacht zum «Trending Topic» auf «Twitter». Und eines liess sich klar aus den Aussagen lesen: Keiner hat mehr Lust auf das Thema und die ermüdende Diskussion.

«Ich war auf einem Junggesellenabschied, traf dort Freunde, mit denen ich mich schon oft in Videospielen duelliert habe. Wir haben uns jahrelang gedisst und mitunter virtuell fertiggemacht, sind bis heute aber weder durch Gewalttaten aufgefallen noch Amok gelaufen.», schreibt Markus Böhm vom «Spiegel» und gibt ein Gefühl wieder, das viele erwachsene Gamerinnen und Gamer wohl teilen. Wenn der Innenminister mit dem Finger auf Computer- und Videospiele zeigt, zeigt er auch auf die Konsumenten. Er macht die Anfeindungen und Vorurteile wieder salonfähig und reisst eine geschlossene Wunde erneut auf. 

In der «Süddeutschen» scherzt Jannis Brühl darüber: «Kompetenz für Zeitreisen würde man eigentlich eher beim Forschungsministerium vermuten. Doch es ist Thomas de Maizière, der Bundesinnenminister, der seine Zuhörer an diesem Samstag weit ins vergangene Jahrzehnt zurückschickte. Er gab Computerspielen mit Gewaltdarstellungen eine Mitschuld an der Tat von München. Damit schwelt schlagartig wieder eine Debatte, die seit langem als beendet galt.» Er drückt dabei eine Position aus, die viele andere Autoren in verschiedenen Zeitungen und Blogs teilen. Die Diskussion ist begraben und bedarf keiner neuen Auflage. Auch in der Politik gab es kein grosses Echo auf die Aussagen des Innenministers mit der prominenten Ausnahme von Volker Kauder, Parteikollege von Herrn de Maizière und Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Und auch Experten zum Thema zeigen sich zahm, wie beispielsweise der bekannte Verbotsforderer Dr. Pfeiffer. Am Sonntagabend in der Sendung «hart aber fair extra» änderte er seinen Diskurs und sprach prinzipiell über Mobbing und soziale Isolation als Grundzüge des Täters. Videospiele kamen erst ganz am Ende seiner Aussage hinzu – er hätte sich in seiner Ohnmacht mit virtuellem Töten berauscht und Spiele wirken nur verstärkend für Individuen, die in einer tiefen Krise seien. Herrn de Maizière war er zwar dankbar, Verbotsforderungen oder Kritik an Spielen blieben aber aus.

de Maizière während der Pressekonferenz
de Maizière während der Pressekonferenz
(Quelle: t-online.de)

Tatsächlich scheinen vor allem die Medien Interesse an der zu Diskussion haben. Der ARD nahm spezifisch die Aussage von de Maizière in die Tagesschau auf und hob die Gefahr, die in den Augen des Innenministers von Computer- und Videospiele ausgeht, über andere Fakten heraus. Auch das SRF, das vor ein paar Wochen die Debatte als beendet erklärte, hat sich in einem Interview mit Josef Sachs, ehemaliger Gerichtspsychiater des Kantons Aargau, dadurch ausgezeichnet, dass es penetrant nach spezifischen Aussagen gefischt hat, um die Debatte anzuheizen. Die obwohl es selber zugibt, dass Forscher «keine Aussagen zur langfristigen Wirkung machen» können. Nur Auswirkungen von einer Dauer von knapp 15 Minuten seien nachweisbar.

Aber es ist nicht mehr 2003 – oder 2009. Die Gesellschaft hat dazu gelernt und lässt sich nicht mehr durch irgendwelche Demagogen oder Hetzer verunsichern. Die Forschungslage ist klar und lässt solche einfältigen Diskussionen nicht mehr zu. Deutschland, mit den schärfsten Jugendschutzgesetzen Europas, hat auch aufgezeigt, dass Verbote keine Lösung sind und Amokläufe offensichtlich nicht verhindern können, denn Spiele sind nicht die Ursache.

Aber es gibt noch einiges mehr zu lernen. Die Reaktion auf de Maizières Aussagen haben gezeigt, dass die Diskussion begraben ist – aber leider nicht beendet. Denn nicht nur Politiker wie de Maizière müssen die Mentalität vom letzten Jahrzehnt hinter sich lassen, auch Gamer müssen dazulernen. Zu schnell sind viele auf die Barrikaden gegangen. Politiker müssen aufhören mit leeren und unbegründeten Aussagen immer wieder aufs Neue einen Konflikt anzuheizen, der niemandem hilft. Gamerinnen und Gamer müssen aufhören bei jeder Kritik sofort in die Defensive zu verfallen. Diese Konfrontationen helfen niemanden und verhindern positive Entwicklungen, sowie einen fairen und wirksamen Jugendschutz. Wenn wir reellen Fortschritt wollen, dürfen wir nicht überreagieren und Games zu einem Tabu in der Politik machen. Wir müssen den Rahmen für eine erwachsene Diskussion schaffen, wie wir es bei GameRights seit Jahren versuchen, und die Politik miteinbeziehen, statt sie anzufeinden. Aber auch sie muss bereit sein, Vorurteile abzulegen. Nur wenn beide Seiten der Münze zusammenarbeiten, kann diese Diskussion tatsächlich beendet werden.

 

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